Sabah Special 1

 

Benjamin Brenner hielt stets ein hohes Tempo, wenn er seine Runden lief. Er war seit Kindesbeinen an Sportler, mit gemächlichem Tempo konnte man ihn kaum noch hinterm Ofen vor locken. Da musste es schon gewichtige Argumente geben, dass er sein Tempo drosselte.

 

Seine Muskeln mussten brennen, schmerzen und protestieren.

 

Sein Atem musste schwer gehen, seine Rippen sich deutlich beim Luftholen dehnen und sein Herz hatte nach dem Ende seiner Runde gefälligst schnell zu schlagen.

 

Er musste sich ein Stück weit überfahren fühlen, erst dann war der Sport auch gut für ihn.

 

Denn dann erfüllte er seinen Zweck.

 

Stille.

 

Ruhe.

 

Das war es, was er mit diesem grenzwertigen Programm erreichen wollte. Die tausend Gedanken, die in seinem Kopf umherrasten, ihn tagsüber manchmal beinahe schon in den Wahnsinn trieben und rastlos machten, verstummten in solchen Momenten. Andere Menschen merkten von so etwas natürlich nichts, weil Ben es hinter einem freundlichen Lächeln und flapsigen Sprüchen verbarg, wenn sich sein Hirn wieder einmal vor Ideen, Formeln und anderen Dingen überschlug. Viele hatten ihm früher seinen überdurchschnittlichen IQ geneidet, diesen Idioten hatten aber nie die andere Seite der Medaille gesehen. Es war kein Segen, es war zumeist eher ein Fluch.

 

Aber auch das hatte er diesen Leuten nie erklärt, bei den meisten war das ohnehin vergebens. Also versteckte sich Ben stets hinter seinem ansteckenden, freundlichen Lächeln. Und … seiner großen Klappe. Wer damit nicht umgehen konnte, den betrachtete er ohnehin als Zeitverschwendung auf zwei Beinen.

 

Fremde Menschen ging es einen Scheißdreck an, wie es wirklich in ihm aussah, es reichte Ben schon, wenn sein älterer Zwillingsbruder Daniel ihn nur ansehen musste und ihm diesen wissenden Blick schenkte. Wenn er dann auch noch kotzbrockig eine Augenbraue hob, juckte es den jüngeren Brenner-Zwilling heute noch genauso wie als kleiner Junge in den Fingern, sich auf Dan zu stürzen und ihm dieses besserwisserische Auftreten herauszuprügeln..

 

Aber sein Bruder wollte ihm niemals etwas Böses, daher schluckte Ben seine fehlgeleitete Wut in solchen Momenten mittlerweile herunter. Er war immerhin keine zwölf mehr. Meistens war er damit sogar erfolgreich, wenn nicht, wurde es manchmal auch etwas ernster zwischen ihnen beiden. Dan konnte sich wehren. Und Ben kochte nur langsam herunter. Also hatte es in der Vergangenheit nicht nur eine Prügelei unter Brüdern gegeben.

 

Meist war Dan jedoch so besonnen, dass er in solchen Momenten zurücksteckte, wenn Ben das nicht mehr konnte. Sie wussten beide, dass er manchmal zu schnell und vor allem zu leidenschaftlich reagierte.

 

Ben hatte nicht einmal einen Blick für die traumhafte Kulisse Sabahs, an der er vorbei lief. Ihr Ferienhaus, von dem aus er gestartet war, lag direkt am Strand und an eben diesem joggte er auch entlang. Das Rauschen des Meeres, der feine, pulverartige und weiche Sand und das teils felsige, teils palmengesäumte Strandareal, hätten ihm unter anderen Umständen sicherlich ein Lächeln entlockt. Aber heute nicht.

 

Heute brachte ihn nicht einmal das scheiß Laufen herunter!

 

Verfickt noch mal!

 

Half denn heute gar nichts?

 

Er konnte ja schlecht auf dieser verfluchten Insel irgendeinen MMA-Club auftreiben und den nächstbesten Sandsack verkloppen. Das war die nächste Eskalationsstufe, wenn er – wie Dan es so schön nannte – Hummeln im Arsch hatte.

 

Scheiße! Verfluchte Scheiße!

 

Ben stoppte sein hohes Tempo abrupt und biss seine Zähne fest aufeinander, als er spürte, wie er immer wütender wurde. Die Finger seiner linken Hand massierten seine Nasenwurzel, während die der Rechten zur Faust geballt waren.

 

Theoretisch könnte er Dan als lebenden Sandsack zweckentfremden und eine etwas ausgedehntere Sparringrunde mit ihm durchziehen. Der Vorteil wäre, dass Ben wieder herunterkam. Der Nachteil war … offensichtlich.

 

Heute hätte sich Ben wahrscheinlich kaum unter Kontrolle, das wollte er seinem Zwilling nicht antun. Trainingskämpfe mussten immer safe sein. Genauso wie Sex. Und das wäre es heute nicht. Bens Gefühle fuhren eine ätzende Achterbahn mit zig Loopings und das konnte er überhaupt nicht leiden. Neben seinem Kopf betrog ihn nun auch noch sein Herz.

 

Nur mit Mühe konnte Ben eine weitere gedankliche Schimpftirade zurückhalten. Wahrscheinlich könnte er nun nicht einmal mehr unter Androhung von Gewalt irgendwelche Berechnungen anstellen, wofür er normalerweise nicht einmal technische Unterstützung brauchte. Sein Kopf bekam so etwas vollkommen eigenständig hin. Einen Laptop oder gar einen Taschenrechner brauchte er erst, wenn es wirklich in die höhere Mathematik ging.

 

Und schon wieder war er bei einem der zwei Reizthemen.

 

Herz und Hirn nervten ihn heute ganz gewaltig. „Fickt euch. Alle beide“, knurrte er.

 

Genervt strich er sich schwer atmend mit beiden Händen durch sein kurzes, braunes Haar. Bei sich zu Hause, insbesondere wenn er in der Mittagspause joggen ging, und sich im Institut duschte und umzog, unterließ er solche Bewegungen mittlerweile. Es hatte etwas gedauert, bis es bei Ben klick gemacht hatte, aber die weiblichen Kolleginnen geierten ihn ungeniert an, wenn sein Laufshirt hochrutschte und den Blick auf seinen durchtrainierten Körper freigab. Das war ein Umstand, den Ben durchaus gerne und gnadenlos ausnutzte, wenn er auf der Jagd war, aber doch nicht auf der Arbeit! Kolleginnen waren tabu.

 

Don’t drink and drive war ebenso ein Credo von ihm, wie Don‘t fuck the Company.

 

Das konnte nur in die Hose gehen, gerade bei ihm. Manchmal schien das Schicksal förmlich in seinem Nacken zu hängen und ihm im richtigen Moment ein liebliches „Fick dich“ ins Ohr zu säuseln. Das war schon bei der Geburt so gewesen. Erst hatte ihre Mom ins Gras gebissen – und Ben war sich bis heute nicht sicher, ob ihr Vater sie nicht anlog, dass die Zwillinge nicht schuld an ihrem Tod waren – und dann hatte ihn Mutter Natur mit einem überdurchschnittlichen IQ gestraft. Jedes Elternteil, das versuchte, sein Kind mit Gewalt zu etwas Besonderem zu machen und ihm den Hochbegabten-Status zu verpassen, war ein Arschloch. Machten sich diese Pseudo-Eltern eigentlich mal klar, was sie ihrem Kind damit antaten?

 

Anders zu sein war kein Segen, denn Kinder hatten für so etwas kein Verständnis. Ben hatte seinen Zwilling. Aber ohne Dan? Wäre er in der Kindheit aufgeschmissen gewesen.

 

Ben beschloss, die Runde kürzer zu halten, als er es eigentlich vorgehabt hatte. Das wirklich beschissene an seiner Situation war, dass sein Herz einerseits fliehen wollte, doch andererseits zog es ihn unbarmherzig wieder ins Ferienhaus zurück. Er wollte ungern länger als nötig von der Frau fort sein, die ihn so verwirrte.

 

Nina.

 

Sein … Geschenk.

 

Ben hingegen konnte sich zwischen den Bezeichnungen persönliches Verhängnis und Traumfrau nicht entscheiden. Wahrscheinlich würde Nina beides in einem vereinen.

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Katie (Samstag, 07 Mai 2016 20:23)

    Uhhhh endlich *o*
    War schon sehr gespannt wann was aus der Sicht der Zwillinge kommt.
    Ist super gelungen und wahnsinnig interessant , vor allem merkt man mal richtig wie aufgedreht Ben einfach ist und dass es wirklich eine Belastung für ihn ist.
    Freue mich auf jeden Fall auf mehr!! XD

  • #2

    Nika (Samstag, 07 Mai 2016 20:49)

    oh das ist so gelungen *_*
    ich liebe dich, dafür das du uns dieses spezial gibst!
    *vor dir nieder knie* danke
    freue mich auf den nächsten teil

  • #3

    Annett (Samstag, 07 Mai 2016 21:40)

    Na bin schon mächtig gespannt. Konnte kaum aufhören mit dem Lesen und hoffe das sie alle doch ihr happyend bekommen.

  • #4

    Nora (Samstag, 07 Mai 2016 22:27)

    Beeeennnn

  • #5

    Mel (Sonntag, 08 Mai 2016 10:00)

    Oh, wie schön.
    Ich mag Nina und die Zwillinge
    total <3
    Freu mich auch mehr

  • #6

    Nora (Sonntag, 08 Mai 2016 20:31)

    Beeeennnn