Leseprobe

Erscheinungsdatum: 25.09.2017

 

Klappentext:

 

 

Maxine Caldwell ist der festen Überzeugung, etwas zu kennen, wonach die meisten Menschen ihr Leben lang suchen: Den Sinn ihres Lebens. Doch genau dieses Schicksal stellt sie vor schier unüberwindbare Probleme, da der Mann, den sie von ganzem Herzen liebt, vor allem für seine Kälte und Unnahbarkeit bekannt ist.

 

Nach einem Streit verlangt die selbstbewusste, junge Frau eine Beziehungspause, um sich ihrer Gefühle, Wünsche und Zukunftsträume wieder bewusst zu werden. Statt Klarheit zu erlangen, endet der Selbstfindungstrip jedoch in einem Desaster, denn die Eigenschaft, Dinge in Erfahrung zu bringen, die nicht für sie gedacht waren, scheint ihre persönliche Bürde zu sein.

 

Letztlich muss Maxine erkennen, dass zwischen Schicksal und Verhängnis lediglich ein schmaler Grat liegt und man auf diesem nur zu leicht in sein Verderben rutschen kann.

 

 

Kapitel 1

 

 

 

 

 

Sie lebte in der Hölle! Jeder andere Vergleich verblasste schlicht und ergreifend bei dem Anblick, der sich Maxine auf ihrem Schreibtisch bot. Sie hatte zwölf Stunden wie eine Irre gearbeitet und es war kein Ende in Sicht. Zumindest kein Ende des Arbeitsberges, das ihrer persönlichen Belastungsgrenze war hingegen fast erreicht.

 

Maxine lachte zynisch auf, als sie wieder einmal realisierte, dass solche Höllen-Äußerungen mittlerweile einen sehr realen Beigeschmack hatten. Wenn man solche Phrasen über zwei Jahrzehnte lang eher als bildliche Beschreibung nutzte, war es auch nach einigen Monaten noch seltsam, sie plötzlich mit einem Bezug zur Wirklichkeit zu verwenden.

 

Müde fuhr sie sich übers Gesicht und beschloss, dass New Yorks angesagtester Nachtclub Hellfire schon nicht untergehen würde, nur weil sie sich ein paar Minuten Pause gönnte. Sie war für die Finanzen verantwortlich und ohne arrogant sein zu wollen, machte sie ihren Job verdammt gut. Dieser Nachtclub wusch mittlerweile einen Großteil des weniger legal erworbenen Geldes von dessen Besitzer, ohne dass diesem jemand auf die Schliche kommen konnte.

 

Denn genau das wäre unschön, war der Besitzer des Hellfire doch kein Geringerer als Lucifer.

 

Der Lucifer.

 

Ohne Nachnamen, wie sie ihn inzwischen gerne hin und wieder aufzog. Nach außen hin besaß Gottes erster Engel zwar eine makellose Identität und hielt sein schönes Gesicht konsequent aus jeder Kamera heraus, aber sobald jemand zu bohren beginnen würde, könnte das Konstrukt, auf dem Lucifers wirtschaftlicher Erfolg fußte, möglicherweise ins Wanken geraten. Man wusste ja nie.

 

Deshalb war Maxine da. Sie sorgte dafür, dass die Buchhaltung dermaßen vorbildlich und die illegalen Aktivitäten so gut in den Zahlen verborgen waren, dass niemand Fragen stellte. Die Feuertaufe hatte sie vor ein paar Wochen bereits mit Bravour in Form eines Prüfers bestanden. Doch sie blieb dabei: Allmählich wurde es zu viel, also erhob sie sich und bog ihren protestierenden Rücken mit einem lauten Knacken durch.

 

Ihre Füße trugen sie einen Raum weiter. Mittlerweile hatten sie hier unten - zwei Stockwerke unter dem eigentlichen Club – etwas umgestaltet und ihr ein Arbeitszimmer eingerichtet, dass direkt neben dem des Herrn des Hauses lag. Sie klopfte, erhielt aber keine Antwort.

 

Kurz wog sie ab, wie jedes Mal. Aber letztlich zuckte sie mit den Schultern und öffnete die Tür dennoch. Manch einer hatte so eine Handlung während Maxines Zeit hier bereits mit dem Leben bezahlt. Lucifer hatte ein sehr reizbares Gemüt und man wusste nie, wie es um ihn stand, bis man seine Geduld einer Probe unterzog.

 

Sie verspürte einen kurzen Anflug von Zorn, als sie Lucifer hinter seinem Schreibtisch erblickte. Er wusste sehr genau, wer vor seiner Tür gestanden und angeklopft hatte und dass er sie genauso ignorierte, wie er es mit seinen Verdammten tat, ärgerte sie.

 

„Was willst du, Kätzchen?“, fragte er sie genervt und mit dem üblichen Hauch Herablassung in der Stimme. Er hielt es nicht einmal für nötig, zu ihr zu sehen, sondern blickte stur auf den Monitor vor sich.

 

Das alles war nicht neu.

 

Es war mittlerweile eher Standard geworden.

 

Sie beide waren die seltsame Form eines Paares mit seinen üblichen Problemen. Mit dem kleinen Unterschied, dass Maxine ein gewöhnlicher Mensch und Lucifer der Teufel höchstpersönlich in all seiner wunderschönen Pracht und Bosheit war. Denn genau das war er: Der schönste Mann, den sie je gesehen hatte und gleichzeitig hatte er ein rabenschwarzes Herz. Er konnte Zuneigung empfinden und Maxine war sich auch sicher, dass er das in irgendeiner Form für sie tat. Aber Lucifer war viel mehr darum bemüht, diesen Umstand vor aller Welt zu verbergen, als an ihrer gemeinsamen Beziehung zu arbeiten, für die sie sich beide nach all dem Drama aus dem letzten Jahr entschieden hatten.

 

Sie beschloss, sich von seinem schroffen Verhalten nicht abwimmeln zu lassen, obwohl es heute schwer für sie war. Normalerweise fiel es ihr leichter, seine Kälte zu ertragen. Doch ab und an brauchte sie einen Funken Zuneigung. Etwas, das ihr wieder zeigte, wofür sie all das hier ertrug. Ihr Leben war beileibe nicht schlecht. Wenn sie ihre unrühmliche Vergangenheit noch mit in diese Gleichung einbezog, war es sogar fantastisch. Man hatte ihr einst gesagt, dass Maxines Leben an Lucifers Seite einsam und kalt werden, aber dass es diese Strapazen auf der anderen Seite auch wert sein würde.

 

Meist stimmte sie dieser Beschreibung zu. Sie liebte Lucifer von ganzem Herzen und war bereit, das zu nehmen, was er zu geben bereit war. Heute brauchte sie aber mehr, sie konnte nicht mehr warten, bis er wieder einmal bei besserer Laune war, um sich seiner Verpflichtung als ihr Lebensgefährte bewusst zu werden. Nach wie vor tänzelte Maxine gedanklich um das Wort Freund herum. Der Teufel war niemandes Freund.

 

Da sie ihn kannte, schloss sie die Tür und trat auf ihn zu. Noch immer ignorierte er sie beharrlich, aber Maxine war nach wie vor entschlossen, sich die emotionale Nähe zu holen, die ihr derzeit fehlte. Daher drehte sie seinen Stuhl ohne zu fragen an der Lehne zu sich herum.

 

„Kätzchen“, presste Lucifer hervor, als wäre sie ein besonders renitenter Mensch, der einfachste Zusammenhänge nicht verstand und blickte ihr angefressen aus seinen stahlgrauen Iriden entgegen. Ohne jede Wärme darin. Das wiederum war neu, aber nicht erst seit heute. Dieses Verhalten hatte sich in den vergangenen Wochen immer mal wieder eingeschlichen.

 

Lucifer war noch genauso attraktiv wie eh und je. Das tiefschwarze Haar, die ebenmäßig geschnittenen Züge, die ihm ein edles und extrem schönes Aussehen verliehen, sein Hang zu Maßanzügen und vor allem die Fähigkeit, diese mit einem wahrhaft göttlichen Körper und seinem immensen Selbstbewusstsein auszufüllen, machten ihn zum perfekten Mann. Äußerlich! Denn sobald er den Mund aufmachte, purzelte irgendetwas Unschönes heraus. Entgegen seiner Äußerung, keine Zeit zu haben, zog er sie zu sich auf den Schoß.

 

„Ich habe wirklich zu tun. Kannst du dir deine emotionalen Ausbrüche nicht für heute Abend aufheben? Glaub mir, dann kümmere ich mich gerne darum …“

 

Was er damit meinte, war ihr klar. Dazu bedurfte es nicht einmal seines schnurrenden Untertons, denn er strich beiläufig über ihren Rücken und schenkte ihrem BH-Verschluss mehr Aufmerksamkeit als nötig. Maxine lachte trocken auf und schüttelte mit dem Kopf, was wiederum Lucifers Maske einen Riss versetzte. Er blinzelte verwirrt und das führte Maxine auf brutale weil subtile Weise vor Augen, dass sie zu zweit noch genauso am Anfang wie vor einigen Monaten standen.

 

Nichts hatte sich gebessert. Keine Fortschritte. Gar nichts.

 

Als Boss und Untergebene waren sie ein mittlerweile eingespieltes und sehr perfektes Team. Doch als Paar standen sie noch an derselben Stelle wie damals und das tat Maxine in diesem Moment einfach nur weh.

 

„Du verwechselst wie so oft Zuneigung mit einem Fick. Manchmal reicht Sex, um so einen emotionalen Krüppel wie dich zu ertragen, aber heute nicht. Ich hatte wirklich Geduld mit dir. Wochen. Monate. Aber während ich mich für dich geändert, mein Leben aufgegeben habe, hast du nichts dergleichen getan. Du hast dich nicht einen Millimeter auf mich zubewegt. Ich weiß nicht, was du glaubst, wie viel Zeit du hättest, Lucifer. Ich bin ein Mensch. Sterblich!“

 

Wie jedes Mal, wenn dieses Thema aufkam, huschte Unbehagen über Lucifers Züge, aber heute zuckte er wegen Maxines nachdrücklicher Worte tatsächlich kurz bei diesem Wort zusammen. Das wiederum besänftigte sie etwas. Verletzte Gefühle ertrug er nicht gut, das wusste sie und im Grunde ihres Herzens wusste sie ebenfalls, dass er noch immer mit dem Verlust seines geliebten Bruders kämpfte, der dieser Welt den Rücken zugedreht hatte. Der Gedanke daran, sie in absehbarer Zeit an das Alter und dann den Tod zu verlieren, musste schrecklich für ihn sein, weil er dem hilflos gegenüberstand. Aber dennoch war das nicht genug, um nun nachzugeben, wie sie es sonst immer tat.

 

„Ich werde heute Abend in meinem alten Zimmer schlafen“, teilte sie ihm mit, drückte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel und erhob sich von seinem Schoß. Wo sie früher aus der Haut gefahren wäre, sprach nun nur noch pure Resignation aus ihrer Stimme. Es war auch nicht als Strafe für ihn, sondern als purer Selbstschutz für Maxine gemeint, dass sie nicht – wie eigentlich üblich – ihre Nacht an seiner Seite und in seinem Bett verbrachte.

 

Sie ging in Richtung Ausgang, als sie Lucifer erbost schnauben hörte. Offenbar hatte er heute eine längere Leitung, um zu realisieren, dass diese Aussage Maxines Ernst und nicht bloß die Einleitung für ein ruppiges Vorspiel gewesen war.

 

„Wenn du nicht willst, dann eben eine andere!“, giftete er sie an und Maxines Hand schloss sich fester um die Türklinke, als er sie damit an ihren ersten handfesten Streit erinnerte. Lucifer war zeit seines Lebens nicht monogam gewesen und hatte Maxines Wutausbruch darüber, dass er mit einer anderen geschlafen und sie genau hineingeplatzt war, nicht wirklich nachvollziehen können. Erst als sie es ihm mit gleicher Münze heimgezahlt hatte, war so etwas wie Erkenntnis bei Lucifer eingetreten.

 

Sie hatten diese Seitensprung-Sache also abgehakt und jetzt kramte er diese Angelegenheit bewusst hevor, um sie dazu zu bringen, einen Rückzieher zu machen und aus Angst vor seinen möglichen Handlungen zu ihm zurückzukommen. Wieder einmal wurde Maxine vor Augen geführt, wie manipulativ Lucifer nach wie vor in ihrer Beziehung war. Wenn er etwas wollte, dann schreckte er vor nichts zurück. Nicht einmal vor ihr. Der Frau, die ihm angeblich wichtig war.

 

Ob sich das je ändern würde und er ihr einen längeren Blick hinter seine Maske gestattete?

 

Mit dem Mann in ihrem Rücken konnte sie sich arrangieren.

 

Lieben tat sie seinen Kern, den sie ab und an zu Gesicht bekam. In diesen Teil seiner Persönlichkeit hatte sie sich damals Hals über Kopf verliebt. Mittlerweile hatte sie akzeptiert, dass ihre Gefühle sich verändert hatten und tiefer geworden waren. Sie liebte ihn. Nicht, weil es von ihr als seiner Einen – seiner für ihn geschaffenen Frau – erwartet wurde, vielmehr weil sie bereit war, alles für diesen Mann zu tun.

 

Aber seine Maske der Arroganz und Herablassung liebte sie nicht, die akzeptierte sie lediglich, weil sie wie seine italienisch geschnittenen Maßanzüge zu ihm gehörte. Maxine schenkte ihm einen Blick über ihre Schulter und traf im selben Moment eine weitreichende Entscheidung. „Wir zwei brauchen ganz dringend Abstand und eine Pause voneinander.“

 

Die Stille im Arbeitszimmer war allumfassend und wenn sie nicht alles täuschte, sackte Lucifers Kinnlade etwas herunter. Doch eine Antwort wartete Maxine nicht mehr ab. Stattdessen öffnete sie die Tür und schlüpfte auf den Flur des Hellfire.

 

Ihr eigenes Arbeitszimmer ignorierte sie, sondern begab sich schnurstracks eine Etage höher in ihr eigenes Zimmer. Einen Raum, der die meiste Zeit über leer stand, weil sie sich in Lucifers privaten Räumen und nicht hier aufhielt. Doch was sie gesagt hatte, meinte sie ernst: Sie brauchte eine Pause. Den Status quo ertrug sie nicht mehr.

 

Unschlüssig stand sie in ihrem früheren Zimmer und war dankbar für den beruhigenden Effekt, den es nach wie vor auf sie hatte. Sie war in diesen vier Wänden gewachsen. Bei dem Berg an Problemen, der ihr damals am Arsch geklebt hatte, war ihr auch nichts anderes übrig geblieben als an ihnen zu wachsen oder aber daran zu zerbrechen. Es war schon bezeichnend, wenn der Teufel höchstpersönlich nicht einmal das größte Problem war, was man haben konnte und genau das war zu der Zeit der Fall gewesen. Lucifer war nur eine von vielen Hürden gewesen, die zwischen Maxine und einem sicheren Leben gestanden hatten.

 

Ihr Blick glitt zu der Tür, die sie in das angrenzende Bad führte, danach zum Bett und ihrem heißgeliebten Lesesessel. Alles Orte, wo sie nicht nur Sex mit dem Morgenstern gehabt hatte, sondern ihm emotional auch näher gekommen war. Etwas, das jeder als ein unmögliches Unterfangen betrachtet hatte. Doch ihr war es gelungen, einen Blick hinter diese kalte, abweisende Fassade zu werfen, die gerade durch sein schönes Äußeres noch einmal verstärkt wurde. Er hatte tatsächlich das Gesicht eines Engels, was sein fieses Mundwerk noch einmal schlimmer machte.

 

Doch Lucifer hatte ein Herz.

 

Er konnte lieben.

 

Aber er hatte panische Angst davor, noch einmal verletzt zu werden. Das verstand sie ja. Jemand, der so oft mit Verlust und Verrat konfrontiert war, wie es ein Engel nun einmal zwangsläufig durch diese kranken Familienverhältnisse war, der begann, sein Herz zu schützen.

 

Nur warum tat Lucifer das auch jetzt noch ihr gegenüber?

 

Warum biss er wieder um sich, wo doch alles in bester Ordnung war?

 

Der Club lief fabelhaft, der drohende Krieg mit seinen Brüdern war abgewendet worden und sie glaubten bis auf den Oberpsycho Raphael ohnehin alle, dass Maxine Caldwell tot war.

 

Zögerlich glitt ihr Blick zu dem letzten Highlight in diesem Raum: Ihrer Sterbeurkunde, die Lucifer ihr damals nach einem … denkwürdigen Auftritt im VIP-Bereich hier in diesem Zimmer vor die Füße geknallt hatte. Sie hatten sich irgendwann entschieden, sie zu rahmen, oder eher Maxine hatte das entschieden und Lucifer damit völlig verdattert. Doch sie hatte ihm zeigen wollen, dass sie ihr altes Leben gar nicht zurückwollte und akzeptierte, dass sie nur noch hier im Hellfire Maxine Caldwell war, während der Rest der Welt sie für tot hielt.

 

Leider hatte diese Geste nur kurzzeitig einen Schub für ihre Beziehung bedeutet, bevor sie allmählich in diesen Alltagstrott aus Arbeit, Arbeit und noch mehr Arbeit gerutscht und einander stetig immer etwas fremder geworden waren.

 

Doch all das Grübeln brachte Maxine nicht weiter. Es war, wie es nun einmal war.

 

Diese Etappen erinnerten sie an ihr aktuelles Leben und die Gründe, weshalb sie sich für Gottes ersten Engel entschieden hatte, statt all dem hier den Rücken zu kehren: Weil sie ihn von ganzem Herzen liebte. Aber genau dieses Herz blutete derzeit und schuld war allein der Gefühlskrüppel, dem sie es geschenkt hatte.

 

Maxine wusste nicht genau, was oder wo sie nun hin wollte, aber sie brauchte ganz dringend frische Luft. Einen temporären Tapetenwechsel! Sie nickte grimmig vor sich hin.

 

Gedanklich plante sie bereits weiter. Iwan schuldete ihr noch einen Vater-/Tochter-Ausflug, zu dem sie nie gekommen waren. Versprochen hatte er es ihr, aber danach war Maxine in diesen ganzen Schlamassel zwischen Himmel und Hölle geraten.

 

Jetzt war ein perfekter Zeitpunkt für einen Kurzurlaub mir ihrem russischen Ziehpapa, der seine Engelsherkunft nicht durch Arroganz und Ignoranz zur Schau trug. Daher zog sie ihr Handy aus ihrer Hosentasche und tippte nur eine sehr kurze Nachricht an Iwan.

 

 

 

»Ich brauche eine Pause von L. Harley Ausflug?«

 

 

 

Sie hatten nie darüber gesprochen, aber Maxine würde Lucifer niemals ausschreiben. Dieser Mann hatte sie damals lange Zeit im Unklaren über seinen Namen gelassen und das respektierte sie. Anonymität war ihm wichtig.

 

Iwan wusste auch so, wen sie meinte. Mit etwas Glück bekam es ihr Ziehvater trotz seiner Technik-Aversion hin, ihr irgendeine Antwort zu tippen. Sonst hätte sie gleich einen fluchenden Russen am Telefon, der die gesamte Palette an Schimpfworten zum Besten gab und sie hinterher bemüht beherrscht bitten würde, künftig nur noch anzurufen. Genau solche in schöner Regelmäßigkeit stattfindenden Spektakel waren der Grund, warum Maxine den Teufel tun und ihn anrufen würde.

 

Sie verzog ihr Gesicht, als ihr erneut ihre gedankliche Wortwahl auffiel. Irgendwann würde sie sich das hoffentlich abgewöhnt haben, aber manches war zu fest in ihrem Sprachgebrauch verankert.

 

Doch in den nächsten Tagen würde das nicht zählen. Sie wäre einfach nur Iwans Kleine und würde sich auf einer Harley den Wind um die Nase wehen lassen, während sie mit ihrem Ersatzdaddy durchs Land brauste. Vielleicht konnte sie sich auch endlich überwinden, das Tattoo auf ihrem Rücken fertig stechen zu lassen. Etwas, bei dem Iwan sich beharrlich geweigert hatte, aber nun …

 

Ihr Handy vibrierte und Iwans Name leuchtete auf. Mit einem Grinsen nahm sie das Gespräch an und wurde von einer Batterie russischer Flüche begrüßt, ehe Iwan einmal tief seufzte.

 

„Ist das eine endgültige Pause, bei der ich ihn vor unserem Ausflug noch abknallen soll oder brauchst du diesen dreckigen Bastard noch, weil das nur eine zeitlich begrenzte Pause ist?“, erkundigte er sich und klang mühsam beherrscht, denn dann rollte er das charakteristische R in den Worten immer stärker als sonst.

 

„Temporär, Iwan. Ich brauche einfach etwas Abstand. Können wir vielleicht … bald los?“, hakte sie betont unbeteiligt nach und hätte sich für ihre viel zu hohe Tonlage selbst in den Arsch treten können.

 

„Wie bald?“

 

„Sehr bald?“

 

Iwan seufzte. „Wie gern würde ich meine Kalaschnikow und eine Schaufel für ihn mitbringen. Ich hole dich in einer halben Stunde ab.“

 

Mehr brauchte er nicht zu sagen und das tat er auch nicht, sondern legte auf, wie es üblich zwischen ihnen beiden war. Alles war gesagt und Smalltalk zählte nicht zu Iwans Stärken. Allein die Aussicht darauf, dieser Hölle auf Erden für ein paar Tage zu entkommen, ließ Tränen der Erleichterung in Maxines Augen schießen.

 

Ihr war bis heute gar nicht bewusst gewesen, wie belastend ihre Beziehung zu Lucifer für sie mittlerweile geworden war. Doch jetzt, da sie endlich wieder das Gefühl hatte, frei atmen zu können, erkannte sie den Unterschied.

 

Maxine atmete tief durch. Einerseits fühlte es sich falsch an, einfach so eine Beziehungspause zu entscheiden. Doch andererseits würde sie daran zugrunde gehen, wenn sie sich immer nur den Wünschen eines emotional so verkorksten Mannes unterordnete.

 

Nicht zum ersten Mal realisierte sie, dass Lucifer ihr nicht guttat und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, warum ausgerechnet ihr das Los zugefallen war, seine Eine – die Frau, die extra für ihn geschaffen war – sein zu müssen. Doch zeitgleich mit diesen Gedanken zog sich ihr Herz bei der Aussicht zusammen, Lucifer nie wiederzusehen.

 

Sie liebte ihn. Von ganzem Herzen. Und genau deshalb war sie seine Eine, weil sie die Einzige war, die ihn trotz seiner abweisenden Art lieben und den winzigen guten Kern, der in ihm war, sehen konnte.